Die Zukunft des Sports
Zuwanderung & Cricket
Anja Kirig & Marcel Aberle
Die Zukunfts- und Trendforscher Anja Kirig und Marcel Aberle haben sich in einer Umfrage mit Expertinnen und Experten aus der Welt des Sports und der Sportanlagen mit nicht mehr und nicht weniger als der Zukunft des Sports auseinandergesetzt, und das auf vielen Ebenen.
Zum Beispiel mit Zuwanderung, Sport-Identity und Kricket. Fortsetzung folgt.
Wie werden Zuwanderung und die Inklusion das Sportangebot unserer Vereine verändern?
Sport, als Spiegelbild eines gesellschaftlichen Mikrokosmos, hat das Potenzial, kulturelle Barrieren und Stereotypen abzubauen und die Gesellschaft toleranter zu gestalten.
Für eine erfolgreiche Inklusion und Integration ist es jedoch notwendig, Situationen immer wieder neu zu bewerten, insbesondere unter Berücksichtigung des “kulturellen Kapitals”, das Menschen mitbringen. Studien (vgl. Smith, R., Spaaij, R. & McDonald, B. Migrant Integration and Cultural Capital in the Context of Sport and Physical Activity: a Systematic Review. Int. Migration & Integration 20, 851–868 (2019)) zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund eigene Sporträume schaffen, die ihrem kulturellen Kapital entsprechen.
Die Lebenswelt spielt hierbei jedoch eine Rolle. So kann die vorhandene Diversität in Städten die Unterschiede zwischen Mehrheits- und Minderheitengruppen verringern.
Eine Untersuchung (vgl. Tao Liu, Liangni Sally Liu: Transnational physical activity and sport engagement of new Asian migrants in Aotearoa/New Zealand. In: Asia Pacific Viewpoint, Volume63, Issue2, 01 March 2022) in Neuseeland ergab, dass Migrantinnen und Migranten traditionelle Sportarten aus ihrem Herkunftsland bevorzugen. Beispielsweise spielen Personen aus China gerne Tischtennis, Fußball und Badminton, Personen aus Indien sind an Kricket interessiert, und Personen aus dem Pazifik oder Südafrika bevorzugen Rugby, eine in Neuseeland dominierende Sportart. Diese Präferenzen bereichern das Angebot an transnationalen Sportarten.
Die Integration in bestehende Sportstrukturen bleibt eine Herausforderung. Migrantinnen und Migranten haben möglicherweise kein Interesse an den Sportarten des Aufnahmelandes, zum Beispiel aufgrund von Unkenntnis der Regeln, Angst vor Verletzungen, Zeit‑, Geld- und Sprachbarrieren.
Um von der Diversität zu profitieren und gleichzeitig inklusiv und integrativ zu sein, bedarf es großer Offenheit, Sensibilität und Neugier. Es ist wichtig, ein Verständnis für die jeweilige Situation zu entwickeln.
Prognose
Wird die Gesellschaft des Aufnahmelandes unter Perspektive von Individualisierung, Heterogenität, Diversität und auch Migrationshintergrund beleuchtet, zeigt sich, dass die Frage von Integration kritisch beleuchtet werden muss.
In welche Gesellschaft soll integriert werden, wenn diese in sich bereits sehr ausdifferenziert ist? Angebote, die eine Identifikation über den Sport geben und darüber das Gefühl von Zugehörigkeit, sind hierbei künftig entscheidender als ein traditionelles Verständnis von Inklusion.
Die These könnte noch spitzer formuliert werden. Sport-Identity wird unseren Beobachtungen zu Folge künftig mehr als eine Einstellung oder Haltung sein, sondern ein Teil der Identität und Persönlichkeit. Sportivity*, Einstellung und Identität sind zwar miteinander verknüpft, aber dennoch unterschiedlich in den Auswirkungen auf Lebensstil und Selbstverständnis.
Während sich eine Einstellung ändert, etwas die Vorliebe für eine bestimmte Sportart, die Form der Bewegung oder der Sportkonsum, so basiert Sport als Teil der Identität auf einem umfassenderen und komplexeren Konzept. Einstellungen können sich im Laufe der Zeit aufgrund neuer Erfahrungen, unterschiedlicher Sichtweisen oder Veränderungen in der Umgebung oder den Umständen des Einzelnen ändern. Sport-Identity bezieht sich auf das Selbstkonzept einer Person, die Selbstwahrnehmung dafür, wer sie ist.
Diese Identität kann jedoch ebenfalls fließend und mehrdimensional sein. Durch Individualisierung und Konnektivität hat das Individuum mehr Möglichkeiten, seine eigene Identität zu formen und zu stärken und zu entwickeln.
Gleichzeitig führen durch Megatrends ausgelöste Veränderungen dazu, dass Menschen einen Identitätsverlust erleben, wenn klassische Merkmale wie Geschlecht, Alter und Herkunft nicht mehr identitätsstiftend sind. Dies generiert Antitrends, wie der Zunahme der Popularität traditioneller Rollenbilder und der Sehnsucht nach „starken“ Führungspersönlichkeiten, an denen sich Menschen orientieren können.
Im selben Kontext entwickelt sich auch eine Sport- und Bewegungsverweigerung. Der Unterschied zu früher besteht darin, dass das Individuum sich aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen gezwungen sieht, eine Position zum Thema einzunehmen. Diese Antitrends stehen jedoch in starker Korrelation mit den transformativen Kräften, die die Gesellschaft vorantreiben und verändern.
Daher ist zu erwarten, dass sich die Sehnsucht nach Identität in Zukunft andere Anker suchen wird. Sport, Bewegung und Fitness bieten hierfür ideale Entwicklungsflächen. Bereits jetzt ist zu beobachten, wie Identitätsverlust durch Fitnessstudios und Krafttraining begegnet wird. Hier finden Trainierende eine Form der Zugehörigkeit, temporären Heimat und derzeit im Krafttraining eine gemeinsame Identität.
Prognose
Fitness- und Bewegungseinstellungen sowie ihr Einfluss auf eine „sportliche“ Identität sind wichtige Aspekte des Lebensstils und Selbstkonzepts einer Person.
Mit dem Aufkommen digitaler Fitnessplattformen und Online-Communities haben Einzelpersonen nun mehr Möglichkeiten, verschiedene Aspekte ihrer Fitnesseinstellungen und „Sport“-Identitäten zu erkunden und auszudrücken. Dies hat zu einem größeren Verständnis und einer größeren Akzeptanz von Veränderungen und Vielfalt in diesen Bereichen geführt.
Es ist davon auszugehen, dass das Verständnis dieser Konzepte weiterhin zunehmen wird. Das Konzept einer „Sport“-Identität wird flexibler werden. Durch verbesserten Zugang und eine breitere Definition von „Sport“ erhält der Einzelne zudem mehr Möglichkeiten, seine Identität entsprechend zu gestalten.
Inwieweit werden in den nächsten Jahren“neue” Motivbilder des Sporttreibens entstehen, die uns zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht bewusst sind?
Unseren Beobachtungen zufolge vollzieht sich im Bereich Freizeitsport, Bewegung und Freizeitfitness ein spürbarer Wandel. Katalysatoren hierfür sind u.a. die sich weiterentwickelnden Technologien, ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit und das gestiegene Bewusstsein für das mentale Wohlbefinden. Dabei verändern sich nicht nur die Motive des Sportreibens, sondern auch die Art und Weise, wie es in unser Leben integriert wird.
Themen wie Bewegungsdrang, Prävention, Leistung, Gemeinschaft und Spaß werden auch in Zukunft Bestand haben. Transformative Treiber wie die Megatrends Gesundheit, Konnektivität, Individualisierung und New Work/Wissenskultur bleiben präsent. Es sind jedoch die Entwicklungen dieser Treiber und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, die den Grundmotiven veränderte Nuancen, Definitionen und Inhalte verleihen.
Beispielsweise steht heute nicht mehr nur die physische Gesundheit im Vordergrund. Ganzheitliche Gesundheit, insbesondere Resilienz und mentales Wohlbefinden, gewinnen an Bedeutung aufgrund sich wandelnder soziokultureller Gegebenheiten. Eine Entwicklung, die in Zukunft an Bedeutung zunehmen wird.
Sport, ob gemeinschaftlich oder individuell betrieben oder in einer Kombination aus beidem, erfüllt ein Bedürfnis nach Resonanz und ermöglicht Erfahrungen. Diese sind grundlegend für persönliches Wachstum und die Bildung/Stärkung der eigenen Identität. Scheinbar paradoxe Motive, die mit dem Sport verbunden werden, können nebeneinander existieren. Wir-Kultur und Individualismus schließen sich genauso wenig aus wie technologische Transformation und Tradition/Kultur/Anker oder Wachstum und Entspannung. Eine Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, diese Aspekte miteinander zu verknüpfen.
Technologische Innovationen wie KI, Extended Realities oder Wearables werden herkömmliche Routinen nicht abschaffen, sondern verändern und erweitern. Sie bieten Sporttreibenden einen neuen Zugang zu Bewegung und dem Erleben von Bewegung. Neben den genannten klassischen Gründen für das Sporttreiben wird der Megatrend Neo-Ökologie die Zukunft der Motivbildung mitbestimmen und auch die Form der Sportarten beeinflussen.
Prognose
Diese Veränderungen generieren nicht nur neue Sportarten, sie werden auch traditionelle Sportarten umgestalten. Insbesondere Angebote, die auf einem Co-Kultur-Gedanken basieren und/oder sich nahtlos in das tägliche Leben einfügen, werden dabei entstehen.
Ökologie, Inklusion, Vielfalt und eine ganzheitliche Sichtweise auf Gesundheit werden zu zentralen Themen für den organisierten Sport, die jedoch im Sinne des neo-ökologischen Prinzips verstanden werden müssen – vom Schuldgefühl zum Handeln, vom Verzicht zum bewussten Verbrauch.
Autoren
Anja Kirig
Zukunfts- und Trendforschung
Marcel Aberle
Megatrends & Transformationen
Fotos
FREEP!K
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