Sportunterricht

Schlimmer als Mathe

 

 

Dein Spiegel & Ina Hunger

Die Sportwissenschaftlerin Ina Hunger erzählt im Gespräch mit „Dein Spiegel“, warum Mannschaftswahlen demütigend sein können – und wieso das Gefühl des Versagens bei einer Turnübung schlimmer ausfallen kann als beim Vorrechnen an der Tafel.

Three sad, serious teenagers are sitting. Caucasian, African American, boy and girl with glasses.

Sollte es mehr oder weniger Sport­un­ter­richt in der Schule geben?
Wich­tiger als die Anzahl der Sport­stunden ist die Qualität. Wenn man fünf Stunden die Woche schlechten Sport­un­ter­richt hat, schadet das eher. Wenn es aber gute Stunden sind, von denen alle Kinder etwas haben, dann wäre es sicher­lich schön, wenn wir mehr davon hätten.

Wie sieht guter Sport­un­ter­richt aus?
Gut ist, wenn alle Kinder die Möglich­keit haben, etwas Neues im Sport kennen­zulernen. Wenn alle Kinder erfahren, dass es toll ist, sich körper­lich zu veraus­gaben oder Leis­tungen zu verbes­sern. Dass es span­nend ist, wenn man zusammen etwas macht oder sich vergleicht. In einem guten Sport­un­ter­richt fühlen sich die Kinder wohl, und niemand hat Angst oder wird gemobbt.

Sie forschen zu psychi­scher Gesund­heit im Sport­un­ter­richt. Was bedeutet das?
Ich unter­suche, ob Kinder durch ihren Sport­un­ter­richt verun­si­chert oder sogar psychisch verletzt werden. Ob sie zum Beispiel Angst vor dem Unter­richt ent­wickeln, ob sie sich in bestimmten Situa­tionen schämen oder ausge­grenzt werden. Wenn Kinder im Sport­un­ter­richt immer wieder leiden, etwa weil sie sich den Anfor­de­rungen nicht gewachsen fühlen, häufig blöde Kommen­tare zu hören bekommen, über ihre sport­liche Leis­tung oder über ihren Körper – dann ist das psychisch unge­sund.

Welche Probleme gibt es in den Stunden?
Zum Beispiel werden Kinder durch veral­tete Maßnahmen, wie »Mann­schafts­wahlen«, gede­mü­tigt. Wenn man als Letztes vor den Augen der ganzen Klasse in eine Mann­schaft »gewählt« wird, quält das die Betrof­fenen inner­lich sehr lange. Dabei gibt es 1000 andere Möglich­keiten, eine Klasse aufzu­teilen. Es kommt auch vor, dass Kinder vor der ganzen Klasse immer wieder eine Übung machen müssen, zu der sie über­haupt nicht in der Lage sind. Und es gibt Situa­tionen, in denen eine ganze Klasse jemanden auslacht oder beschimpft. Meist trauen sich die Betrof­fenen dann auch nicht zu sagen: »Das ist gemein!« Und die anderen Kinder setzen sich nur selten für ein gemobbtes Kind ein.

In Mathe an der Tafel vorrechnen zu müssen, kann auch unan­ge­nehm sein. Warum kann der Sport­un­ter­richt beson­ders schlimm sein?
Sport­lich zu sein und einen fitten Körper zu haben ist bei Kindern und Jugend­lichen oft viel, viel wich­tiger, als gute Noten in Mathe zu bekommen. Wenn ich in Mathe an der Tafel etwas nicht kann, kann ich mir immer noch sagen: Ich habe eben nicht geübt. Wenn ich aber im Sport­un­ter­richt versage, denke ich: Ich habe nicht den »rich­tigen« Körper, ich genüge nicht den Ansprü­chen, die andere an mich haben. Das Gefühl des Versa­gens geht im Sport also viel tiefer.

Gibt es einen Unter­schied zwischen Schul­sport und dem Sport, den die Kinder nach­mit­tags im Verein betreiben?
Ja! In den Verein geht man frei­willig. Man wählt eine Sportart aus, die man mag, trifft andere in ähnli­chem Alter, die sich auch für die Sportart inter­es­sieren, und man kann jeder­zeit weggehen. Schul­sport ist kein Hobby, sondern Pflicht. Er soll zur Allge­mein­bil­dung beitragen. Er wird benotet, und man macht ihn inner­halb der Klasse, mit der man über Jahre auch in anderen Fächern zusammen lernt.

Wie könnte man den Unter­richt besser gestalten?
Ein Sport­un­ter­richt, der Kinder dazu bringen soll, sich auch in der Frei­zeit zu bewegen, muss moti­vieren! Und allen Kindern deut­lich machen, dass es sich lohnt und Spaß macht, Sport zu treiben. Dazu gehört, dass Lehr­kräfte sensibel sind und Schul­kinder soli­da­ri­scher. Niemand wird gesünder oder selbst­bewusster oder übt frei­willig Sport aus, wenn er oder sie in der Schule Sport­stunden erlebt, die immer wieder be­lastend sind. Sport­un­ter­richt bietet einen wich­tigen Zugang zu Bewe­gung, kann aber auch wahn­sinnig viel kaputt machen.

Three sad, serious teenagers are sitting. Caucasian, African American, boy and girl with glasses.

Prof. Dr. Ina Hunger

Jahr­gang 1965, ist Sport­wis­sen­schaft­lerin an der Univer­sität Bremen. Sie forscht zu psychi­scher Gesund­heit im Sport­un­ter­richt, also dazu, wie die Erfah­rungen im Unter­richt sich auf die Gefühle der Schul­kinder auswirken.

 

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