Die Wüste und die Wirklichkeit

Der Social Pool in der südkalifornischen Wüste

Die Kommerzialisierung der Privatsphäre

Alfredo Barsu­glias Social Pool ist ein knapp drei­ein­halb Meter langes und einein­halb Meter breites Schwimm­be­cken in der südka­li­for­ni­schen Wüste, das von jedem kosten­frei genutzt werden kann. Formal erin­nert das geome­tri­sche, schmuck­lose, weiße Gebilde an eine mini­ma­lis­ti­sche Skulptur. Aufgrund seiner abge­schie­denen Lage in einer dünn besie­delten Gegend – poten­ti­ellen Besu­chern wird geraten, für die Auto­fahrt von Los Angeles mehrere Stunden einzu­planen und sich auf „einen langen Fußmarsch“ einzu­stellen – denkt man unwill­kür­lich an Land Art-Instal­la­tionen im ameri­ka­ni­schen Westen: Walter De Marias The Light­ning Field in New Mexico, Robert Smit­h­sons berühmte Spiral Jetty oder Nancy Holts Sun Tunnels in Utah.

Diese in den sieb­ziger Jahren entstan­denen Arbeiten von Künst­lern aus New York, schon damals das unum­strit­tene Zentrum der Kunst­szene, rich­teten sich nicht nur gegen die zuneh­mende Vermark­tung und Insti­tu­tio­na­li­sie­rung der Kunst (so zumin­dest der konzep­tu­elle Anspruch), sondern kriti­sierten darüber hinaus die weit­rei­chende Zerstö­rung der natür­li­chen Umwelt. Barsu­glias Werk beruft sich ausdrück­lich auf diesen idea­lis­ti­schen Impuls – die Fahrt und der Marsch bieten ausrei­chend Gele­gen­heit, um über „soziale Werte, Träume und die Wirk­lich­keit“ nach­zu­denken – ohne dabei in Nost­algie abzu­gleiten.

Im Gegen­teil: Social Pool setzt sich mit den grund­le­genden gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Verän­de­rungen der letzten vierzig Jahre ausein­ander. Barsu­glias Arbeit ist das Produkt einer Wirt­schafts­ord­nung, in der die Kommer­zia­li­sie­rung der Privat­sphäre keine dysto­pi­sche Vorstel­lung, sondern Alltag ist. In diesem Szenario sollen Kunst und deren Vermitt­lung sich zuneh­mend an der Service­indus­trie orien­tieren, unter­haltsam sein statt huma­nis­tisch edukativ.

Künstler

Alfredo Barsuglia
Liechtensteinstraße 68–70/25
AUT-1090 Wien

Bauherr

MAK Center for Art and Architecture

Ästhetisch aufgewerteter Yoga-Unterricht

Der Titel von Barsu­glias Arbeit spielt bewusst mit der Möglich­keit, dass man es bei Social Pool mit einer Art ästhe­tisch aufge­wer­tetem Yoga-Unter­richt zu tun haben könnte, mit einem Wochen­end­aus­flug, der weniger im Zeichen von Aufklä­rung und produk­tiver Ratlo­sig­keit ange­sichts eines rätsel­haften Objekts steht, sondern vor allem der Entspan­nung dienen soll: Eska­pismus statt Kritik, Ablen­kung statt Über­schrei­tung.

Social Pool orien­tiert sich an der zeit­ge­nös­si­schen Konsum­ge­sell­schaft und ist wie ein Verspre­chen ange­legt: eine Erfah­rung, die einen verän­dern wird; Entspan­nung, innere Ruhe und Erfül­lung in der Abge­schie­den­heit. Dabei bleibt man selbst­ver­ständ­lich stets vernetzt, denn sonst findet man das Werk schlichtweg nicht.

Als Skulptur funk­tio­niert Social Pool buch­stäb­lich wie ein Bad, in das man eintaucht, um zu entspannen und abzu­schalten. Auf scharf­sin­nige Weise führt Barsu­glia die Bedeu­tungs­ho­ri­zonte von Begriffen wie Kunst, Pool (dem Symbol für sorg­losen Wohl­stand schlechthin, insbe­son­dere in der Wüste), Entspan­nung und Natur zusammen. Social Pool wird dadurch zu einer hoch­kom­plexen Nach­bil­dung der ideo­lo­gi­schen Wider­sprüche einer Gesell­schaft, die Abge­schie­den­heit und Ruhe zu Luxus­gü­tern für den gestressten und dauer­kom­mu­ni­zie­renden Groß­stadt­be­wohner erhoben hat.

Autor

Stephanie Weber
Kuratorin, Lenbachhaus München

Fotograf

Alfredo Barsuglia

Elemente des Lächerlichen und des Erhabenen

Dieser Wunsch nach Zurück­ge­zo­gen­heit und persön­li­chem Genuss spie­gelt sich auch im Design des Pools und im Nutzungs­kon­zept wider: Das MAK Center for Art and Archi­tec­ture in West Holly­wood händigt Besu­chern die geheimen GPS-Koor­di­naten zusammen mit einem Schlüssel aus, mit dessen Hilfe sich die Pool­ab­de­ckung öffnen lässt. Die Abde­ckung sorgt dafür, dass das Wasser nicht verdunstet, und kann geöffnet als zusätz­liche Liege­fläche genutzt werden – eine erstaun­liche Inge­nieurs- und Design­leis­tung. Zudem verfügt die Instal­la­tion über ein auto­ma­ti­siertes Filter- und Chlor­system, das von einer Solar­zelle auf der Abde­ckung betrieben wird. Der Pool ist in zwei Hälften unter­teilt: die eine recht­eckig und mit Wasser befüllt, die andere quadra­tisch und trocken (sie dient als Umklei­de­be­reich). Im Wasser­be­cken ist gerade genug Platz für ein oder zwei Personen. Sitzt man auf der im Pool­be­reich einge­las­senen Bank, verhin­dert die hohe Trenn­wand die Sicht auf das Nebenan. In einer Art Über­de­ter­mi­nie­rung der Ideo­logie der Instal­la­tion bestimmte Barsu­glia, dass nur Einzel­per­sonen oder kleine Gruppen die Arbeit nutzen dürfen und der Schlüssel nach maximal 24 Stunden zurück­ge­geben werden muss.

Mit seiner grotesken, sich ihrer selbst bewussten Glätte und der unaus­ge­spro­chenen Trotz­hal­tung gegen die umge­bende Natur vereint Social Pool Elemente des Lächer­li­chen und des Erha­benen. Dass das Kunst­werk nur unter Mühen über­haupt zu errei­chen ist, macht die Absur­dität des Ganzen noch offen­sicht­li­cher. Vergleichbar ist diese Mühe mit der Suche nach dem ulti­ma­tiven Rück­zugsort: keine Inter­net­re­cherche ist zu lang­wierig, keine Flug‑, Zug‑, Bus- oder Schiffs­reise zu mühsam, um endlich mal wieder richtig auszu­spannen und ein oder zwei Wochen lang ein Stell­dichein mit dem wahren Selbst zu feiern.

Aller­dings stellt für Barsu­glia ein derar­tiger Rückzug aus der Gesell­schaft keine Lösung dar. Man sollte ihn beim Wort nehmen, wenn er die lang­wie­rige, ohne GPS-Koor­di­naten unmög­liche Anreise zu einer Zeit des Nach­den­kens über unseren konsum­ori­en­tierten und nach Unter­hal­tung gierenden Lebens­stils umdeutet. Die Rück­zugs­mög­lich­keit, die Barsu­glia anbietet, ist kurz­weilig, sie ist ichbe­zogen, sie folgt dem Lust­prinzip und sie ist alles andere als egalitär. Kurzum: Sie entspringt dem Leben im Spät­ka­pi­ta­lismus und der Du-hast-es-dir-verdient-Atti­tüde unserer Konsum­ge­sell­schaft. Barsu­glia über­lässt es ganz den Besu­chern, was sie aus seinem Vorschlag machen. Ob der ange­se­hene Job und die Wohnung in bester Lage eine so libi­di­nöse Hingabe an den Status Quo wirk­lich recht­fer­tigen, muss jeder selbst entscheiden. Barsu­glia gibt Ratschläge, keine Befehle. Viel­leicht gleicht der Besuch bei Social Pool wirk­lich bloß einem Tag im Spa oder das Reise­ziel entpuppt sich als ein bemer­kens­wertes Kunst­werk, viel­leicht sogar als eine das weitere Leben verän­dernde Erfah­rung; oder, wer weiß, mögli­cher­weise läutet Social Pool den sanften Beginn einer gesell­schaft­li­chen Revo­lu­tion ein.

Luftbild

Schlüssel

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